„Die Globalisierung mag ihren Höhepunkt überschritten haben, das Worst-Case-Inflationsszenario ist jedoch unwahrscheinlich, insbesondere in den USA. Warum das so ist, macht ein Blick auf die letzten Jahrzehnte deutlich.“
Senior International Economist, Vanguard.
In den Jahrzehnten vor der Pandemie galt niedrige Inflation oft als Nebeneffekt der Globalisierung. Daher liegt der Gedanke nahe, dass ein Rückgang des Welthandels, insbesondere zwischen den USA und China, die Inflation kurzfristig anheizen könnte. Eine aktuelle Analyse von Vanguard deutet jedoch darauf hin, dass eine Umkehr der Globalisierung nur sehr begrenzte Auswirkungen auf die Inflation haben dürfte.
Nach gängiger Auffassung sind die niedrigen Inflationsraten der letzten 30 Jahre vor allem auf den Abbau von Handelsschranken zurückzuführen, insbesondere durch den Abschluss des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) im Jahr 1993 und dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WHO) im Jahr 2001. Ein zentrales Argument für diese These waren günstige Importe aus China.
In Anbetracht der angespannten geopolitischen Lage und wachsender Handelsschranken liegt die Vermutung nahe, dass die Globalisierung zurückgeht und dabei einen Inflationsschub auslöst, der an die Zeit nach der Pandemie oder die Achtzigerjahre – die Zeit vor der Globalisierung – erinnern könnte.
Die Globalisierung mag ihren Höhepunkt überschritten haben, das Worst-Case-Inflationsszenario ist jedoch unwahrscheinlich, insbesondere in den USA. Warum das so ist, macht ein Blick auf die letzten Jahrzehnte deutlich.
Anders als häufig dargestellt, war der inflationsmindernde Effekt der Globalisierung in der Vergangenheit nur moderat, wie das nachstehende Diagramm deutlich macht.
Globalisierung hat kaum Auswirkungen auf die Inflation
Anmerkungen: Die Abbildung zeigt die jährliche Inflationsrate vom 31. März 1987 bis zum 30. September 2023 sowie die hypothetische Inflation unter der Annahme einer inflationsneutralen Globalisierung im gleichen Zeitraum. Der schattierte Bereich entspricht der Differenz zwischen den beiden Linien. Ein negativer Wert deutet darauf hin, dass Veränderungen in der Globalisierung die tatsächliche Inflation gesenkt haben. NAFTA steht für das Nordamerikanische Freihandelsabkommen und WHO steht für die Welthandelsorganisation.
Quelle: Vanguard; Stand: 11. Juni 2024.
Das Diagramm bildet den Zeitraum von 1987 bis Ende 2023 ab, in dem sich die Globalisierung sowohl beschleunigte als auch verlangsamte. Zwar trug die Globalisierung in den Neunziger- und Nullerjahren zur Eindämmung der Inflation bei, doch ihre Auswirkungen waren bescheiden und weit weniger bedeutend als die der Geldpolitik. Auch seit der Verlangsamung der Globalisierung, die wir in den vergangenen Jahren beobachtet haben – wir bezeichnen diesen Trend als „Slowbalisation“ – ist ihr Einfluss auf die Inflation weiterhin minimal, was vor allem an der Struktur der US-Wirtschaft liegt.
Die US-Wirtschaft ist autarker, als viele denken: Fast 90% der in den USA konsumierten Waren und Dienstleistungen werden in den USA produziert – und damit deutlich mehr als die meisten anderen Ländern.
Beispiel Privatkonsum: Gemessen am Dollarwert werden nur etwa 10% der in den USA verbrauchten Waren und Dienstleistungen importiert. Da es sich bei Konsumgüter oft um Waren wie Kleidung und Schuhe handelt, mag die Zahl überraschen, doch diese importierten Verbrauchsgüter machen nur etwa 4% des US-Warenkorbs aus.
Dagegen entfallen knapp 70% des US-Konsums auf Dienstleistungen wie Gesundheit, Bildung und Wohnen, die nur zu einem geringen Teil importiert werden. Genau deshalb ist der Einfluss der Globalisierung auf die Inflation nur marginal, und genau deshalb gehen wir davon aus, dass sich die „Slowbalisation“ kaum in der US-Wirtschaft und in den US-Inflationszahlen bemerkbar machen wird.
Anmerkungen: Das Diagramm zeigt die Struktur der persönlichen Konsumausgaben (PCE) in den USA nach Kategorien (Gebrauchsgüter, Verbrauchsgüter und Dienstleistungen) und nach Herkunft (importiert oder inländisch). Wir haben Daten per 31. Januar 2019 verwendet, da Störungen durch die Pandemie und ihre Folgen Anfang der Zwanzigerjahre erhebliche Abweichungen in den Konsumstrukturen vom langfristigen Trend zur Folge hatten.
Quelle: Berechnungen von Vanguard auf Grundlage von Daten der San Francisco Federal Reserve Bank vom 31. Januar 2019.
Man sollte die Anpassungsfähigkeit einzelner Volkswirtschaften nicht unterschätzen. Zum Beispiel beobachten wir seit der Finanzkrise des Jahres 2008 eine Verlagerung von Lieferketten in geografisch oder geopolitisch näherliegende Länder, die als „Nearshoring“ oder „Friendshoring“ bezeichnet wird und Risiken durch Lieferkettenunterbrechungen minimieren soll.
Anstatt des einstmals allgegenwärtigen „Made in China“ steht daher auf Bekleidungsetiketten in den USA heute häufiger „Made in Vietnam“ oder „Made in Mexico“. Lange vor den jüngsten Handelsstreitigkeiten und pandemiebedingten Lieferkettenschocks haben diese Verlagerungen dazu beigetragen, den von einer bestimmten Region ausgehenden Inflationsdruck zu reduzieren.
Angesichts dieser Ausgangssituation – inländische Produktionsbasis, dienstleistungsorientierter Konsum und anpassungsfähige Handelsstrategien – sehen wir die US-Wirtschaft gut aufgestellt, um sich an Veränderungen im Welthandel anzupassen Zwar hat die Globalisierung an Schwung verloren und dürfte weiter nachlassen, für die Inflation in den USA ist diese Entwicklung jedoch nur am Rande von Bedeutung.
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